Mit und ohne Hund


Fernando, der Hausherr, vergisst ab und zu mal was.
Zum Beispiel das Hündchen Ona im Supermarkt.
Oder das Hundefutter im Auto, mit dem er dann den ganzen Tag unterwegs ist.
Er hat offizielles Hunde-Ausführ-Verbot.
Einmal, hat er mir gestern mit einem Grinsen erzählt, hat er das Hündchen mit zum Chinesen genommen.
Erst Stunden später, als der Laden schon lange geschlossen hatte, fiel ihm auf, daß der Hund nicht da war.
Die Chinesen hatten sie zum Glück nicht zu Frühlingsrolle verarbeitet, sondern sich Onas angenommen, bis sie abgeholt wurde.

Gestern hat er, dem Verbot zum Trotz, das Hündchen doch mit zum Supermarkt genommen – und wieder mitgebracht.
Das hat er ganz stolz seiner Tochter per Whatsapp mitgeteilt.

Manchmal sind es die kleinen Erfolge des Alltags…

Ca 50 000 in rot weiß


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Fuuuußball!
Es ist soweit. Die Tickets in der Tasche geht’s Richtung Stadion. Im Umkreis von etwa einem Kilometer sind bereits die Straßen abgesperrt, und rot-weiß ist die dominierende Farbe der T-Shirts. Ich trage mintgrün, damit ich auch wirklich nichts riskiere. (Mutig wären blau-weiße Streifen gewesen.)

Ich habe noch die Reste meiner Pizza in einer Tüte dabei und hoffe, daß ich sie mit ins Stadion nehmen kann. Insgesamt muß ich durch drei Kontrollen, wobei bei der ersten nur nach den Tickets gefragt wird.
Die Leute um mich rum müssen Wasserflaschen (auch die aus Plastik), Taschenspiegel und anderes wegschmeißen, über meine Pizza lachen sie nur.
Alle, wie immer, hilfsbereit und stets zum plaudern aufgelegt.

Endlich im Stadion. Es geht rauf, rauf, rauf, bis ganz nach oben. Keine Sitzplätze, nur Steintreppen. Aber naja, waren ja auch die günstigsten Karten. Und dafür sitze ich im einzigen Bereich, der mit Stacheldraht eingezäunt ist. Supersicher, oder? Vielleicht soll der Stacheldraht auch eher die Hardcorefans um mich herum davon abhalten, waghalsige Aktionen Richtung Platz zu starten.

Ich finde es prima. Die Aussicht ist super, und nach einer halben Stunde legt sich auch der Schwindel meiner Höhenangst.

Das Stadion ist wirklich fast voll. (Das Stadion fasst über 65 600 Zuschauer.) Und zwar ausschließlich mit River Plate-Fans (alle nüchtern, weil im Umkreis von 1km kein Alkohol verkauft werden darf.)
Seit dieser Saison herrscht strenge Fantrennung, grundsätzlich dürfen nur noch eigene Fans ins Stadion. Das vermeidet zwar überwiegend Gewalt, sorgt aber auch dafür, daß die Gastmannschaft ganz schön verlassen ist.

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(Fotos mit Dank an Alexa Schlamp)

Neunzig Minuten Fangesänge für River. Durchgehend.
Das ist schon ziemlich beeindruckend. Ich verstehe kein Wort von dem, was gesungen wird und bitte einen Fan hinter mir, mal ein Lied zu notieren. Nach einer Zeile gibt er auf. Das falle ihm nur ein, wenn er gerade singe. Er gibt meinen Zettel weiter an den Nächsten, der die Aufgabe vollständig und gewissenhaft löst.

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Das erste Tor geht an River, das zweite an Godoy Cruz. Totenstille. Dann setzen wieder die Gesänge für River ein, und die elf blau-weiß gestreiften sind die einzigen, die sich über ihr Tor freuen.

Ungefähr achtundzwanzig gelbe und eine rote (River) Karte später gewinnt Godoy Cruz mit 2:1.
Die Köpfe hängen zwar, aber da es niemanden gibt, den man verprügeln könnte, gehen alle ziemlich friedlich aus dem Stadion und ihrer Wege.

Ich hatte ja vorher gesagt, daß ich Fan der Mannschaft werde, die gewinnt, aber ich gebe zu, daß das nicht so einfach geht. Godoy Cruz? Wer ist das überhaupt? Aber umgekehrt geht’s auch nicht. River? So schnell beuge ich mich nicht einem ganzen Stadion voller Fans.

Ich muß noch ein paar Spiele sehen und mehr Mannschaften. So einfach ist das nicht. Noch bleibe ich bei meinem sehr neutralen mintgrünen T-Shirt.

Der Ball ist rund, und ich hab Tickets


Argentinien und Fußball scheinen untrennbar. Jeder hier ist Fan irgendeines Vereins, und im Fernsehen laufen grundsätzlich auf mindestens fünf Programmen Fußballspiele.

Es wird Zeit, daß ich mir ebenfalls ein Spiel anschaue. Live natürlich.
Da ich keinen Bezug zu den Clubs habe, ist mir eigentlich ziemlich egal, wer spielt. Viel interessanter ist die Frage, wie man an Karten kommt.
Für Spiele von La Boca brauche ich das gar nicht erst zu versuchen, sagt man mir. Die haben die Fans fest im Griff und als Normalsterblicher kriege man keine Karten.

Aber es gibt eine Partie ‚River‘ gegen ‚Godoy Cruz‘. Unter der Woche. Da müßte doch was zu machen sein.
Also Internetrecherche. Man kann Tickets übers Internet bestellen und sie dann irgendwo abholen. Aber mir wäre es lieber, direkt Karten zu kaufen.
Also mache ich mich auf den Weg zum Vorverkaufsschalter. Leider erfolglos.
Die Tickets könne man ausschließlich am Stadion kaufen. Am Tag des Spiels. Das müßte ich dann eben versuchen.

Weitere Recherche im Netz. Dummerweise ist aber der Ticketschalter am Stadion am Tag des Spiels geschlossen. Man müsse die Tickets am Tag vorher kaufen.
Es ist schon einen Tag vorher.
Dann sagt man mir, man müsse sie unbedingt vorher im Internet bestellen, sonst bekomme man keine.
Nun, dafür ist es jetzt zu spät. Denn in drei Stunden schließt der Schalter, und ich bin noch nicht mal in der Nähe. Es muß auch so gehen.
Ich fahre einfach zum Stadion und nehme in weiser Voraussicht meinen Pass mit. Man weiß ja nie, wann die Argentinier mal förmlich werden.

Am Stadion angekommen, wird schnell klar, daß ich nicht die einzige mit dieser Idee war. Die Schlange der Wartenden ist fast zwei Häuserblocks lang.

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Ich stelle mich brav ganz hinten an, und nur mal so aus Interesse – bevor ich in zwei Stunden am Schalter höre, daß es für mich keine Karten gibt – frage ich die beiden Jungs neben mir, ob es überhaupt möglich ist ohne vorherige Internetbuchung.
Ja, sei es. Aber nur mit einer Kopie des Ausweises.
Aha. Ich habe meinen Pass dabei.
Nein, es müsse eine Kopie sein.
Und wo kann ich die machen?
Es gibt einen Copyshop ungefähr 15 Minuten zu Fuß entfernt.

Na herrlich! Ich gebe meinen Platz in der Reihe, der in der Zeit immerhin schon drei Meter nach vorne gerückt war, auf und laufe los.

Im Copyshop gibt es ebenfalls eine Schlange, weil alle Kopien machen wollen, um Tickets zu kaufen.
Fünfundvierzig Minuten später stehe ich – mit Kopie – am Stadion. Schon mal jemand in Flip Flops gejoggt? Nicht ideal, kann ich sagen!

Die Schlange ist noch länger als vorher.
Ich gehe wieder brav bis zum Ende, da fällt mir erst auf, wie mich alle anstarren. Ich trage ein weißes Kleid (war ja alles so spontan, und das hatte ich eben an) und bin neben sehr wenigen anderen Frauen auch noch die einzige mit hellen Haaren. Mir egal. Ich versuche möglichst argentinisch dreinzublicken, damit ich mich irgendwie nicht ganz so fehl am Platze fühle, und höre einfach den anderen bei ihren Gesprächen zu. Zum Glück!

Ein Typ vor mir redet mit seinem Kumpel und alles, was ich verstehe, ist: die andere Schlange ist viel kürzer.
Ich mische mich ein!
Welche Schlange?
Die für die Leute, die nicht im Internet bestellt haben, sondern direkt hier kaufen und Cash bezahlen wollen. Auf der anderen Seite sei das.

Ich laufe los. Und tatsächlich. Da stehen etwa zehn Leute an.
Innerhalb von fünf Minuten bin ich an der Reihe. In letzter Sekunde drückt mir noch irgendein Typ Kohle und seine Ausweiskopie in die Hand, daß ich ihm eine Karte mitkaufe, was ich auch tue, weil es für Diskussionen jetzt eh zu spät ist.
Aber ich habe es geschafft! Und insgesamt hat es nur fast zwei Stunden gedauert!

Wenn das Spiel vorbei ist, habe ich vielleicht auch endlich eine Antwort, wenn jemand nach meiner Mannschaft hier fragt.

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Ich spiele Polo


Wie ich schon einmal geschrieben habe, ist Polo hier ein Nationalsport.
Naheliegend bei so viel Fläche und Weide. Da fühlen sich nicht nur Rinder, sondern auch Pferd und Reiter wohl.
Doch natürlich spielt nicht jeder Polo. Erst recht nicht in der Stadt.

Letztendlich ist es ein recht teurer Sport, denn ein Spieler braucht mehrere Pferde, und um sich zu steigern, müssen es immer Bessere sein.
Ein bißchen wie Formel 1.

So oder so, man weiß ja nie, wovon alle sprechen, wenn man es selbst nicht mal ausprobiert hat.
Also werde ich mal Polo spielen.

Um zehn Uhr morgens werden ich und noch drei weitere Poloneulinge aus der Stadt abgeholt. Etwa eine Stunde später befinden wir uns auf einer wunderschönen estancia. Das ist so etwas wie eine Farm.

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Nachdem wir mit Frühstück (auf argentinische Art- also Kaffee/Tee und Medialunas) gestärkt sind, schauen wir uns erstmal ein professionelles Polospiel an, das heute auf einem der vielen Plätze der Farm stattfindet.
Nebenbei gibt es Regelkunde.
Ein Platz, erklärt man uns, ist etwa so groß wie sechs Fußballplätze. (Ich bin mir noch nicht sicher, ob die Argentinier generell zu Übertreibungen neigen.)

Daß wir das, was wir da sehen, selbst irgendwie auf dem Pferd ausüben sollen, scheint in sehr weiter Ferne! Die Reiter preschen an uns vorbei und bewegen sich auf den Tieren, als seien sie genau dort oben geboren worden.

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Wenn man so viel Sport sieht, muß man erstmal was essen.
Also geht es zum Mittagessen ins hübsche Farmhaus, wo schon Empanadas, frische Salate, gegrilltes Gemüse und natürlich Fleisch vom Grill auf uns warten. Ich bleibe übrigens bei den vegetarischen Sachen.
Keine Experimente, wenn ich noch heil aufs Pferd kommen will.

Und das steht dann auch als nächstes an.
Nach einer kurzen Einweisung, wie man den Schläger hält und im besten Falle schwingt, werden wir mit Helmen ausgerüstet, und dann geht’s rauf aufs Pferd.

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Zuerst erscheint es unmöglich, mit einer Hand das Tier zu managen und mit der anderen noch einen Schläger zu schwingen, und mit dem auch noch einen Ball zu treffen. Aber nach etwa einer Stunde wollen wir alle schon nicht mehr nur Schritt gehen, sondern haben sogar den Ehrgeiz, die Bälle aus dem Trab oder Galopp heraus zu schlagen.
Und es macht wirklich Spaß. Und ist wahnsinnig anstrengend!

Zum Schluß spielen wir noch ein kleines Spiel zwischen uns vieren.
Natürlich nur auf einem Bruchteil des Platzes und wesentlich langsamer als echte Spiele.
Aber am Ende des Tages sind wir fix und fertig und überglücklich.
Was für eine Erfahrung.
Schade, daß ich kein Pferd habe, um gleich heute weiter zu üben.