Geh oder stirb


6 Millionen Roller- und Mopedfahrer. Jeder, der es sich irgendwie leisten kann, hat offenbar einen zweirädrigen, fahrbaren Untersatz. In Hanoi wirkt jede Kreuzung wie der Startpunkt einer Rennstrecke. Dicht gedrängt stehen sie da wie Stiere, die mit den Hufen scharren, um endlich loszufahren – natürlich nicht bei grün, sondern dann, wenn es einer nicht mehr aushält und hupt. Wer hupt, fährt zuerst. Alle hupen, und zwar ständig – was das Überqueren einer Straße zum echten Erlebnis macht. Beim ersten Mal stehen wir ratlos da. Es gibt zwar einen Hauch von Zebrastreifen, aber ans Anhalten denkt hier niemand. Im Gegenteil: sobald wir einen Fuß auf die Straße setzen, werden wir mit lautem Hupen zurückgescheucht. Alles fährt kreuz und quer, eine Lücke im Gewusel des Verkehrs tut sich nicht auf. Das bedeutet, es gibt nur eine Lösung: einfach gehen. Luft anhalten, geradeaus schauen und losgehen. Alle Fahrzeuge ausblenden. Zögern wird bestraft, nicht nur mit weiterem Hupen, sondern auch mit Nichtvorankommen, im schlimmsten Fall mit körperlichen Schäden. Nicht zögern, einfach gehen und alles an einem vorbei ziehen lassen. Solange man beweglicher Teil des Ganzen ist, scheinen sie sich hupend den Weg an einem vorbei zu suchen. Wer steht, kann nicht eingeordnet werden.

Wir werden besser darin, die Straßen zu überqueren, ein Adrenalinkick bleibt es. Und wir können genau sehen, welche Touristen gerade erst in Hanoi angekommen sind: die, die stehen. Ratlos stehen und staunen.